Kultur erhalten – Umwelt schützen – A100 stoppen

Eigentlich Sache des Bundesverkehrsministeriums, doch aufgrund der unmittelbaren Betroffenheit wird die Erweiterung im Bauabschnitt 17 von Treptower Park bis Landsberger Allee weiterhin kontrovers in der Berliner Politik und Stadtgesellschaft diskutiert. Seitdem sich eine Koalition von CDU und SPD im Berliner Abgeordnetenhaus anbahnt, scheint es plötzlich, als gehöre der jahrelange deutliche Widerstand der Berliner Regierung gegen die A100 der Vergangenheit an. Dabei sind die Konsequenzen, die die Autobahnerweiterung für die Berliner Kultur, Gesellschaft und Umwelt haben könnte, verheerend.

Nach langen Verhandlungen hat sich der Koalitionsausschuss im Bundestag auf ein „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ geeinigt, welches den Ausbau von 144 Autobahn- und Bundesstraßenprojekten vorsieht. Eine Einigung zur Erweiterung der A100 im Bauabschnitt 17 von Treptower Park bis Landsberger Allee konnte jedoch nicht gefunden werden. Der Verkehrsausschuss lehnte sowohl den Antrag der CDU/CSU zum Weiterbau als auch den Antrag der Linksfraktion zum Baustopp ab. Laut Kurzmeldung des Bundestags seien das Ergebnis der laufenden Bedarfsplanüberprüfung und die Position der neuen Berliner Regierung abzuwarten, bevor über die Zukunft des Bauabschnitts entschieden werden könne.

Aus Sicht der Clubcommission – dem Netzwerk der Berliner Clubkultur – stellt der Ausbau der Stadtautobahn ein absurdes Vorhaben dar. Der Bauabschnitt 17 zerstört über Jahrzehnte gewachsene kulturelle Freiräume, soziale Projekte und Kiezgemeinschaften in kaum absehbarer Tragweite. Zwar lässt die Feinplanung des geplanten Streckenverlaufs noch auf sich warten, es ist jedoch jetzt schon erkennbar, dass der Ausbau der A100 einen unwiederbringlichen Verlust an kultureller Vielfalt und Lebensqualität für Berlin bedeuten würde.

Nach aktuellem Kenntnisstand der Clubcommission sind mindestens 21 Clubs und Kulturorte bedroht: 

  • Direkt an der Elsenbrücke wären Else, Club OST, Renate, der neu eröffnete Club M01 und die Bar Krass Böser Wolf von der Autobahnerweiterung betroffen.
  • Die Kino- und Konzert-Location Zukunft, die nach Verlust ihrer Räumlichkeiten hinter die Renate gezogen ist, befindet sich auf einer für die A100 reservierten Vorhaltefläche.
  • Südlich vom Ostkreuz befinden sich mit dem ://about blank, der Bar und Konzert-Venue Zuckerzauber, der Raumerweiterungshalle sowie dem Jugendhouse Elok mehrere Orte von kultureller Bedeutung, die voraussichtlich dem Ausbau weichen müssten. 
  • Nördlich vom Ostkreuz ist die Autobahn teilweise unterirdisch geplant, doch beim S-Bahndreieck am Wiesenweg soll die Untertunnelung in bisher ungeklärter Form enden. Dort befinden sich mit dem OXI und dem VOID Berlin weitere Clubs sowie auch das Kulturkollektiv Wartenburg, deren Fortbestehen durch die A100 bedroht wird. 
  • Am Stadtpark Lichtenberg sind mit dem Kulturzentrum Villa Kuriosum, dem Wagenplatz Scheffelstraße und dem Jugendkulturzentrum Linse weitere Freiräume für Kunst und Kultur in ihrer Existenz gefährdet. Laut Berliner Zeitung würde auch das Theater an der Parkaue unter dem A100-Ausbau leiden. 
  • Neben zwei weiteren Wagenplätzen, dem Rummelplatz und Fips, befinden sich entlang des geplanten Bauabschnitts verschiedene soziale Einrichtungen wie die Notübernachtung am Containerbahnhof der Berliner Stadtmission, Kiezprojekte wie der Bürgergarten Laskerwiese oder auch die Carl-von-Linné-Schule für Körper- und Lernbehinderte, welche direkt am Ende des 17. Bauabschnitts und der vom Ausbau betroffenen Storkower Straße liegt.

Von der sogenannten “Klimaautobahn”, die die CDU ins Spiel gebracht hat und auf deren Dach sich verdrängte Clubs möglicherweise erneut ansiedeln könnten, hält die Clubcommission nichts. Für sie sind Clubs über viele Jahre organisch in ihre Umgebung hineingewachsen und können nicht einfach an eine andere Stelle umgesiedelt werden. So könnte die Autobahnerweiterung das ohnehin seit Jahrzehnten voranschreitende Clubsterben in einer beispiellosen Größenordnung verstärken, dass im Anschluss fraglich wäre, ob Berlin weiterhin mit seinem Ruf als internationale Hauptstadt der Clubkultur gerecht würde. 

Für die Clubcommission ist nicht ersichtlich, wie die A100-Erweiterung auf Bundes- oder Landesebene politische Unterstützung erhalten kann. Anstatt einer Verkehrspolitik hinterherzulaufen, die im Fall des 17. Bauabschnitts ein Relikt aus den 90er Jahren ist, ist es an der Zeit, sich ernsthaft mit der Verkehrswende und dem Stellenwert kultureller Räume in urbanen Gebieten zu befassen. Ein Blick in andere europäische Großstädte wie Amsterdam, Barcelona oder Paris verdeutlicht: Berlin verspielt trotz des einzigartigen Potenzials an Freiräumen, gutem öffentlichen Nahverkehr und internationaler Strahlkraft erneut Chancen, die andere Metropolen längst erkannt haben und zu nutzen wissen. 

Zwar ist der Volksentscheid, der Berlin zur Klimaneutralität bis 2030 zur Klimaneutralität verpflichten wollte, an fehlender Wahlbeteiligung gescheitert, dennoch bleibt der geplante Ausbau der Stadtautobahn aus klimapolitischer Sicht besorgniserregend. Schon jetzt zeugt die deutschlandweit höchste Schadstoffbelastung von akutem Nachholbedarf. Der Abriss intakter Bestandsimmobilien, die zusätzliche Umweltbelastung durch den immensen Bedarf an Zement, Beton und Stahl sowie das erhöhte Verkehrsaufkommen durch den Bau neuer Straßen stehen im direkten Konflikt mit der Notwendigkeit, die Klimakatastrophe aufzuhalten. Die derzeit geschätzten Kosten von einer Milliarde Euro für die 4,1 Kilometer lange Strecke des Bauabschnitts 17 würden eine Fehlinvestition ungeahnten Ausmaßes aus finanzieller, kultureller und ökologischer Sicht darstellen, von der sich die Politik schnellstens verabschieden sollte. Deshalb appelliert die Clubcommission auch an die Berliner SPD, die sich beim Landesparteitag im Juni 2022 mit deutlicher Mehrheit gegen den Bauabschnitt 17 aussprach. Dieser Beschluss muss auch in einer möglichen Koalition mit der CDU unbedingt Gültigkeit behalten.

Marcel Weber, Erster Vorsitzender der Clubcommission:

“Die Planung des 17. Bauabschnitts basiert auch heute noch auf der Vorstellung aus den 90er Jahren, dass die dafür notwendigen Flächen weitestgehend ungenutzt seien. Seitdem hat sich an den Rändern der Berliner Ringbahn allerdings eine vielfältige und lebendige Kulturlandschaft mit Clubs von internationaler Bekanntheit entwickelt. Diese zu erhalten ist nachhaltiger und lohnenswerter für Berlin als der Weiterbau der A100.”

Nora Giesbert, Personalleitung Else und Renate sowie Erweiterter Vorstand der Clubcommission:

“Seit Eröffnung von Else und Renate steht im Raum, dass wir eines Tages der A100 weichen müssen. Während das geplante Bauvorhaben jedes Jahr teurer und unrealistischer wird, haben wir uns mit der Renate seit mehr als 15 Jahren und mit der Else seit zehn Jahren im Kiez behauptet. Wir bieten über 150 Mitarbeitenden eine Anstellung und Menschen aus aller Welt einen Ort des Miteinanders. Es ist an der Zeit, zu erkennen, dass wir an diesen Ort besser passen, als die Stadtautobahn.”

://about blank Kollektiv:

„Der 17. Bauabschnitt der A100 soll von der Elsenbrücke über etliche sub- und clubkulturelle Orte hinweg bis vor unser altehrwürdiges Türpodest und von dort aus weiter nach Lichtenberg, grobe Richtung Mensch Meier, planiert werden. Angesichts des menschengemachten Klimawandels, der CO2- und Feinstaub-Emmissionen und der nahenden Kipppunkte, erscheint dieses Vorhaben vollkommen verrückt. Die Autobahnverlängerung stellt eine Altlast der staatlich protektionierten Automobil-Lobby dar, an deren endgültige Abwrackung sich bisher auch keine sogenannte grüne Partei herangewagt hat.“

Ansprechpartner für Rückfragen und Interviews:

Lutz Leichsenring
Pressesprecher Clubcommission e.V.
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