Frauenkampftag 2020

Seit über 100 Jahren versammeln sich am 8. März Frauen weltweit zum internationalen Frauenkampftag. Seit einem Jahr, dürfen wir Berliner*innen diesen Tag ganz offiziell begehen und zelebrieren. Dieses erste “Jubiläum” möchten wir neben aller Freude und kraftvollem Feiern zum Anlass nehmen, das vergangene Jahr unter der Lupe der Berliner Clubkultur und vor allem aus der Perspektive von Frauen* Revue passieren zu lassen und zu reflektieren. Dabei inkludiert Frauen* Transpersonen, nicht binäre Menschen, Cis-Frauen und als Frauen gelesene Personen. 
Wir alle müssen uns bewusst machen, dass der Kampf um die Gleichstellung für Cis-Frauen gesellschaftliche Herausforderungen birgt und gleichzeitig anerkennen und adressieren, dass Trans- und nichtbinäre sowie andere als weiblich gelesene Personen mit teils schwierigen Problemen und mehrdimensionalen Diskriminierungen konfrontiert sind. Auch in 2020 ist dieser Frauenkampftag unabdingbar, denn unsere Welt und ihre vorherrschenden Gesellschaftssysteme sind auch heute noch von Misogynie und patriarchalen Strukturen dominiert und von sozialer Ungleichheit und Rassismen flankiert. Bei gleichbleibendem Reformtempo könnte die tatsächliche Gleichberechtigung (für Cis-Frauen) in 100 Jahren erreicht werden. Errungenschaften, die größtenteils durch den Kampf der Frauen*- und der LGBTQI-Bewegungen die im 20. Jahrhunderts hervorgebracht wurden.

In den letzten Jahren  sehen sich aber vor allem diese wichtigen Bewegungen durch Rechtspopulist*innen und Konservative, vermehrt in Frage gestellt und angegriffen. Deshalb braucht es radikale Sichtbarkeit von und kontinuierliche zukunftsgewandte Arbeit an diesen Zuständen: neue Strukturen schaffen, veraltete Rollenbilder und Identitätsvorstellungen aufbrechen und gesellschaftliche Zuschreibungen ablegen. Letztlich Räume schaffen, in denen sich ALLE FRAUEN* selbstermächtigen und somit in der Berliner Clubkultur und darüber hinaus entfalten und wohlfühlen können. 
Aus dieser Notwendigkeit heraus, formierte sich innerhalb der Clubcommission vor einigen Jahren der Arbeitskreis Awareness & Diversity, der sich damit auseinandersetzt wie möglichst sichere und vielfältige Umgebungen innerhalb der Club- und Festivalkultur geschaffen werden können. Im Sinne der Jahresbilanz können wir auf 365 Tage teils erfreulicher, teils bitterer Diskurse rund um die Berliner Clubkultur im Kontext von Feminismus, Gleichberechtigung, Awareness, Diskriminierung und letztlich Vielfalt zurückblicken. Es gab und ergibt sich stets ein vertiefender Austausch und diverse Dialoge mit Clubs, Festivals, Kollektiven, Gästen, Initiativen, mit der Landesstelle für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung, mit geflüchteten Frauen*, mit queeren Frauen*, mit Frauen* in leitenden Positionen und jenen, die noch ganz am Anfang ihres Weges stehen.  Viele davon weisen uns dabei mit ihrer Arbeit hinsichtlich eines Bewusstseins für Gleichbehandlung in der Clubkultur seit jeher als Leuchtturmprojekte den Weg  und konnten bereits so einiges erreichen.

Im Zuge all dieser Austausche sowie der Verzeichnung unzähliger Anfragen, wurde uns als Clubcommission immer bewusster, dass es seitens der Akteur*innen der Club- und Festivalszene, Künstler*innen, Promoter*innen, Gäste etc. mehr Bedarf denn je an Wissen und Aktionsmöglichkeiten gibt, um selbst zu einer diskrimminierungssensibleren, saferen Clubkultur beitragen zu können. 
Wo kann die Expertise gebündelt werden, die aus der großartigen Arbeit entsteht, die einzelne Personen, Kollektive und Initiativen unter anderem im Bereich Awareness, PsyCare/ Safer Clubbing und der queeren Szenen leisten? Wie kann diese gewürdigt und geteilt werden? Wie können alle davon lernen und sich weiterbilden? Mit all diesen Fragen beschäftigt sich das Projekt Awareness-Akademie, das die Clubcommission mit der Unterstützung des Musicboard Berlin im Januar diesen Jahres gestartet hat. Dabei wollen wir das Rad nicht neu erfinden, sondern vielmehr Aktive sowie Skills und Bedarfe zusammenbringen, um Austausch und Lernen zu ermöglichen. Gemeinsam möchten wir Standards, Rahmenbedingungen festlegen und Ressourcen schaffen. 

Bei alledem sind wir uns bewusst, dass es auch in der Clubkultur nicht möglich sein wird, den “einen” Safe Space zu kreieren. Wir können nur die bestmöglichen Rahmenbedingungen schaffen, indem wir beispielsweise die Programmarbeit, Personalstrukturen, Kommunikation, Türpolitiken, präventive und Betroffenen Arbeit etc. reflektieren und justieren. 
Wir alle mussten erst kürzlich angesichts der gewaltvollen Übergriffe durch die Spannervideos auf dem Monis Rache und Fusion Festival sehr schmerzhaft feststellen, dass auch in unseren “Blasen” Menschen die besten Intentionen und Sicherheitsstrukturen systematisch unterlaufen, Macht missbrauchen und sexualisierte Gewalt ausüben. Diese Vorfälle zeigen einmal mehr, dass sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft leider immer noch alltägliche Praxis ist und eine Realität abbildet, die wir in der Clubkultur anerkennen und sichtbar machen müssen. 
Wir solidarisieren uns mit allen Betroffenen, sind selbst Betroffen, erschüttert und diskutieren diese Gewaltvorfälle sehr intensiv in unseren Strukturen. 

Wir möchten an dieser Stelle ausdrücklich auf die informierten Beratungsstellen für Betroffene, LARA – Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen* und  Opferhilfe Berlin e.V., aufmerksam machen. Ebenso gibt es das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, das 24/7 für Betroffene sexualisierter Gewalt erreichbar ist. (Informationen siehe unten.) 
Es ist von existentieller Bedeutung, dass sich Kollektive, Clubs, Festivals, im Falle des Stattfindens sexualisierter Gewalt, im Publikum oder den eigenen Reihen, klar positionieren und die Betroffenen ernstnehmen und supporten, damit sie ihre eigene Stimme sowie den für sie angemessenen Weg finden können, mit dem Geschehenen umzugehen. Diese Vorfälle haben noch einmal klar gemacht, wie immens wichtig die präventive Schaffung von Awareness- bzw. Unterstützungsstrukturen ist, um dann im Notfall reaktionsfähig zu sein. 

Wir müssen mit den Mythen davon aufräumen, wer Täter sein kann und wer nicht, wir müssen uns alle selbst an die Nase fassen, wir dürfen gewaltausübenden Menschen keine Bühne geben. Wir müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen durchleuchten und Awareness nicht nur bei uns sondern auch gesamtgesellschaftlich, bei Polizei und Justiz schaffen, damit diese Fälle sexualisierter Gewalt ernst genommen, bis zum Ende verfolgt, nicht wieder sofort eingestellt werden und Betroffene somit retraumatisiert werden. 

Wir, die Akteur*innen der Clubkultur, müssen uns stets und ständig die Fragen stellen: Wen buche ich für meine Events, wer wird repräsentiert? Wie steht es um die Diversität im eigenen Team? Wie ist die Machtverteilung (paritätisch oder nicht)? Wir sagen uns immer wieder: “Wir sind alle super aware, inklusiv, und feministisch” – aber wie sehr sind wir das wirklich? Wie sehr reflektieren wir unsere Privilegien? Das ist eine herausfordernde Aufgabe, jede Stunde, jeden Tag eines Jahres, die keinesfalls nur am 8. März zur Debatte stehen und sichtbar sein sollte. 
Wir wünschen uns Bündnisse zu bilden und eine enge Zusammenarbeit zwischen Clubs und Festivals, damit wir uns gemeinsam diesen Herausforderungen der Sicherheit von Frauen* mit geballter Kraft stellen können. 

An dieser Stelle bieten wir allen Betroffen und allen Clubs und Festivals nochmals an, sich mit uns auszutauschen und versuchen euch mit den Ressourcen, die wir als Clubcommission haben zu supporten. Wir wollen von euch und mit euch lernen und Wissen weitergeben. 
Diese “neue” Form sexualisierter digitaler Gewalt stellt die Clubs und Festivals vor große Herausforderungen und treibt alle an die Grenzen des Machbaren. Es ist ein krasser Angriff auf das, was wir als Schutzraum für unsere Communities und deren freie Entfaltung verstehen.
Als Clubcommission sehen wir mehr denn je, was für eine Rolle, Verantwortung, Wirkungskreis und auch damit einhergehende Machtposition wir haben, den Fokus auf die “richtigen” Leute zu legen, Diskurs und Austausch anzukurbeln und Menschen zusammenzubringen. 
Lasst uns alle gemeinsam laut sein und dafür kämpfen, dass die Ungleichbehandlung von Frauen* endlich ein Ende findet. Lasst uns 365 Tage des Jahres die Augen und Ohren offen halten und unsere Privilegien dafür nutzen nicht nur Frauen*, sondern allen in diesem patriarchalischen, kapitalistischen System benachteiligten Personen und Gruppen zu ihrer Selbstermächtigung zu verhelfen. 


Der tägliche Kampf für Gleichberechtigung ist und bleibt intersektional.
Schönen Frauenkampftag allen!
Eure Clubcommission