1. Vorsitzende der Clubcommission beim Landesparteitag von Bündnis90/Die Grünen Berlin

Pamela Schobeß – 1. Vorsitzende der Clubcommission – war als Gastrednerin beim Landesparteitag von Bündnis90/Die Grünnen als Gastrednerin und zum Thema „Alle nach ihrer Fasson – Für ein selbstbestimmtes Leben in Berlin“, folgenden redebeitrag gehalten:

„Ich mag den Titel – Alle nach ihrer Fasson -. Wenn es einen Ort gibt, an dem wirklich jede und jeder nach ihrer bzw. seiner Fasson glücklich sein kann, dann ist das für mich tatsächlich Berlin. Das war auch der Grund, weshalb ich 1993 hierher gekommen bin.
Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen. Da war es idyllisch, sauber, friedlich, still, von viel Natur umgeben – aber ich konnte da irgendwie irgendwann nicht mehr atmen.

Berlin und seine Menschen sind bunt. Freundlich und unfreundlich, organisiert und chaotisch. Die Stadt ist sauber und dreckig, leise und laut. Berlin ist divers und damit etwas Besonderes im Vergleich zu vielen anderen Großstädten. Berlin lebt und pulsiert. Und genau das macht für mich den Reiz einer spannenden Großstadt aus. Deshalb kann ich hier atmen und woanders eben nicht.

Und ich glaube, dass es vielen Menschen so geht wie mir. Für viele Menschen ist Berlin eine Stadt, die ein Gefühl von Freiheit und Freisein vermittelt. Und dieses Gefühl kommt – sicher nicht nur – aber eben auch durch Kultur und Kreativität. Kreativität und Freiheit bedienen einander. Ohne Freiheit gibt es keine Kreativität. Und ohne Kreativität gibt es keine Diversität. Diversität macht unsere Stadt aber so spannend, so offen, so liebens- und lebendwert. Und eben auch so frei.

Musik ist dabei – für mich und viel andere – ein wichtiges Tool. Musik ist so vielfältig wie unsere Gesellschaft, öffnet Grenzen, bringt unterschiedliche Kulturen zusammen und entsteht aus diesen. Und das erweitert den Horizont. Musik steht für Offenheit, Toleranz – und Freiheit.

Und Musik ist auch Clubkultur. Unsere Clubs sind gleichzeitig Freiräume und Nischen, in denen sich Menschen ausprobieren können. Unsere Clubs sind Begegnungszonen und gleichzeitig Schutzräume, auch für marginalisierte Gruppen. Bei uns sollen und können die Menschen frei und anders sein – in jeder Hinsicht. Weil uns Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht und sexuelle Ausrichtung völlig egal sind. 
Berlin ist international wohl der bekannteste Clubstandort. Viele Künstler, darunter natürlich viele Musiker, aber auch viele andere Kreative kommen nach Berlin, um sich von der Stadt inspirieren zu lassen und sich weiterzuentwickeln. Das Besondere ist die Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Kultur auf engem Raum und die damit einhergehende Toleranz für die Bedürfnisse des anderen. Und diese Mischung unterscheidet uns von den meisten anderen Großstädten.

Zu dieser Mischung gehört auch die Clubkultur und die Menschen, die damit Lebensfreude und Freiheit verbinden.

Viele Clubs in Berlin sind aktuell bedroht. Aus unterschiedlichen Gründen. Einige durch extreme Mietsteigerungen durch ihre privaten Vermieter. Das betrifft auch andere kleine und mittlere Gewerbetreibende oder Handwerksbetriebe. Wir brauchen dringend ein Gewerbemietrecht, das die Mieterinnen vor Willkür schützt und ihnen Rechte einräumt.

Andere Clubs sind durch heranrückende Wohnbebauung bedroht. Es ist übrigens im Regelfall nicht so, dass sich ein Club einen attraktiven Standort inmitten eines Wohngebiets aussucht, um sich dann hinterher über Lärmbeschwerden zu wundern. Nein! In der Regel sucht man sich einen Ort, an dem man frei sein und experimentieren kann – und das auch ggfs. mal etwas lauter – und danach werden Wohnungen daneben, darüber oder dahinter gebaut. Und natürlich fühlt sich dann manch neuer Mietende von der Musik – dem sogenannten Lärm – gestört. Und oft muss am Ende der Club schließen. Das ist aber nicht fair. Der Club hat ja gar nichts falsch gemacht. Müsste nicht der, der neu baut, dafür sorgen, dass seine neuen Bewohner_innen sich nicht gestört fühlen, von dem, was vorher schon da war?
London’s Bürgermeister hat das verstanden und das sogenannte „Agent of Change-Prinzip“ eingeführt – leider auch erst, nachdem jährlich aufgrund des Immobilienbooms bis zu 80 Musikspielstätten schließen mussten. Das „Agent of Change-Prinzip“ verlagert die Verantwortung auf die neu geplante lärmsensitive Nutzung. Für London’s Kreativität kommt das Umdenken ggfs. zu spät, aber in Berlin hätten wir noch eine Chance…

Wieder andere Clubs sind dadurch bedroht, dass meist einzelne Anwohner_innen sich durch den Club gestört fühlen. In manchen Fällen hören sie die Musik, in anderen Fällen hören sie die Menschen auf der Straße, die zum Club gehen oder wieder nach Hause. Wir wissen von vielen Fällen, in denen es sich genau um EINEN oder EINE Beschwerdeführerin handelt. Ist es fair, wenn dadurch ein Club schließen muss und viele Menschen etwas verlieren, was ihnen wichtig ist? Könnte man sich nicht gemeinsam Maßnahmen überlegen, so dass alle leben und atmen können? Der Lärmschutzfonds z.B. kann hier helfen.

Für viele Menschen ist es auch ein Gefühl von Freiheit, wenn sie im Sommer tagsüber unter freiem Himmel tanzen können – in einem Park. Ohne Eintritt bezahlen zu müssen, weil die Menschen, die das Free Open Air organisieren, das tatsächlich aus Spaß an der Freude tun, ohne wirtschaftliche Ziele zu verfolgen. Sie wollen Musik machen, geben und teilen. Ihr Lohn ist das Lächeln in den Gesichtern der Tanzenden. Das Gefühl, frei zu sein.

Musik ist außerdem Kultur. Und damit ist Musik ein Kulturgeräusch – und kein Lärm. Und tieffrequente Töne sind übrigens für die meisten elektronischen Musikstile unabdingbar. Techno, House oder Drum’n’Bass ohne Bass ist tatsächlich wie Fußball ohne Ball. Das geht einfach nicht.
Und sehr viele Menschen brauchen diese Musik, um sich frei zu fühlen.

Gerade in der letzten Zeit häufen sich auf Bezirks- und Landesebene Vorstöße, neue Reglementierungen einzuführen, die vielen Menschen das Gefühl von Freiheit nehmen und sie einengen werden. 
Viele Städte gucken auf Berlin und warnen uns davor, nicht die gleichen Fehler zu machen. Nicht die Innenstadt absterben zu lassen, indem Kleingewerbe, Kunst, Kultur und Clubkultur an den Stadtrand verdrängt werden. Wir müssen unsere Räume und Freiräume schützen – nur so bleibt Berlin eine lebens- und liebenswerte, offene und tolerante Stadt – in der man atmen kann.

Ich erwarte nicht, dass alle Menschen Clubmusik mögen. Es mögen ja auch nicht alle Menschen Schlager oder klassische Musik. Nicht mal Fußball finden alle gut. Eigenartigerweise ist aber die Akzeptanz und Toleranz dafür größer.

Nicht alle Menschen sollen Clubmusik mögen, aber man sollte bedenken: Es gibt ziemlich viele, die damit nach ihrer Fasson glücklich werden.“