Wie es aussieht, wurde an dieser Stelle nichts gefunden. Möchtest du eine Suche starten?

Clubkultur und Corona 2020/21

Fotos: @mischaheuer

Viele von Euch kennen nicht den Umfang der Arbeit der Clubcommission, die in diesem Jahr eine besonders große Herausforderung für die vielen Mitarbeiter*innen und ehrenamtlichen Kräfte. Hier daher ein Rückblick und Ausblick des Krisenjahres.

+++ Achtung: Dies ist ein langer Text, in dem auch sehr viele Mitarbeiter*innen und Unterstützer*innen genannt werden. Wenn wir Dich hier versehentlich vergessen haben zu erwähnen, dann schreib uns bitte kurz, damit wir den Text ergänzen können – presse@clubcommission.de +++

Das Jahr 2020 hat uns alle vor eine harte Probe gestellt. Uns allen wurde binnen weniger Tage die Grundlage unseres Schaffens entzogen. Das, worin wir gut sind – Menschen zusammenzubringen, Kunst produzieren, Publikum begeistern, Geselligkeit, Halt und Hoffnung, für mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu engagieren und zu mobilisieren – all das war plötzlich nur noch sehr eingeschränkt möglich. Hinzu kamen sehr viele ungeklärte Fragen und Aufwand, die Krise zu bewältigen – Rückerstattungen, Vertragsauflösungen, Kündigungen, Existenzängste.

Die Berliner Clubs nehmen nicht alle Entscheidungen leichtfertig hin, Verordnungen die unsere Freiheiten einschränken, Technologien, die unsere Daten sammeln, Verbote, die uns unsere Berufe nicht mehr ausüben lassen. Auch, wenn das für viele nicht offensichtlich ist, auch hinter den Kulissen der Clubcommission wird diskutiert, gestritten, in Frage gestellt. Bootsdemo ja, oder nein? Wie geht man mit Corona-Leugnung und -verharmlosung um? In eine Debatte einbeziehen, ignorieren oder Hausverbot erteilen? Welche Tracing App verschlüsselt Daten, welche nicht? Wie gut sind Schnelltests und wie kann man dadurch Veranstaltungen sicherer machen? Wie schafft man es, für so eine heterogene Szene eine gemeinsame Strategie zu entwickeln und Stimme zu bilden?

Bereits vor dem Lockdown am Freitag, den 13. März war die Situation für Berliner Clubbetreiber*innen alles andere als entspannt. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg schränkte die Durchführung von Veranstaltungen massiv und unverhältnismäßig ein. Das Kitkat erhielt eine Kündigung, die RummelsBucht muss einem Aquarium weichen und der große Schock gleich zu Jahresbeginn – Grundstückseigentümer S-IMMO versagte der Griessmuehle die Verlängerung des Mietvertrags. Interventionen von Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Senatorin Ramona Pop, sowie ein Runder Tisch der Clubcommission konnte die Räumung nicht mehr verhindern. Die Verhandlungen, der Protest und die mediale Aufmerksamkeit ermöglichten allerdings David und seinem Team ein paar Wochen Aufschub, einen nahtlosen Umzug ins Exil in die Alte Münze und wenig später auch zu einem neuen Standort in der Bärenquell-Brauerei in Niederschöneweide.

CORONA TASK FORCE

Ende Februar dann die ersten Meldungen von Virusinfektionen in Europa. Die Clubcommission gründete unmittelbar eine Task Force Gruppe und organisierte regelmäßige Treffen im Kitkat und in unserem Büro, lud Expert*innen ein und nahm Kontakt mit dem Senat auf. Wenige Tage später wurden die ersten Corona-Fälle in Berlin festgestellt, die unglücklicherweise in direktem Zusammenhang mit einigen Bars und Clubs standen, sogenannten „Superspreadern“. Bevor hier nun die ersten Kommentare die Evidenz in Frage stellen, ob Infektion auch gleich Symptome bedeutet und inwieweit das alles nachweisbar ist: Das spielt in einer öffentlichen Debatte und hunderten Presseanfragen an uns kaum eine Rolle. Die Gefahr war sehr real, dass Clubs und die dort vertretenen marginalisierten Gruppen von der Mehrheitsgesellschaft als ursächlich für die Verbreitung einer Krankheit verantwortlich ausgemacht werden, sowie als unmoralisch, unsolidarisch und hedonistisch stigmatisiert werden. Dies hätte uns nicht nur sämtliche Akzeptanz als sozio-kulturelle Akteure gekostet, sondern wahrscheinlich auch alle damit verbundenen Hilfsangebote. Wir steckten also mitten in einem großen Dilemma.

Die Clubszene ist nicht nur in Berlin, sondern in Deutschland und europaweit recht gut organisiert in den Interessenvertretungen LiveKomm und LiveDMA. Fast alle Clubs sind dort Mitglied, es wurden bereits viele Studien und Konferenzen durchgeführt; wichtige Entscheider*innen der Politik haben sich bereits von uns gehört oder sich mit unseren Themen auseinandergesetzt. Das unterscheidet uns auch von z.B. Bookingagenturen, die sich erst in diesem Jahr unter dem Namen “Booking United” zusammengeschlossen haben. Das hat uns natürlich geholfen, um neben hunderten anderen Branchen, die von der Pandemie betroffen wurden, Gehör zu finden.

UNITED WE STREAM

Ohne die langjährige Netzwerkarbeit wäre es uns auch nie gelungen, binnen fünf Tagen die Spendenkampagne UNITED WE STREAM ins Leben zu rufen, an der sich nahezu alle Berliner Clubs solidarisch beteiligt haben. Es hätte nicht das Telefonat zwischen den Clubcommissions-Vorständen Larissa Krause und Lutz Leichsenring gegeben, die Kampagne gemeinsam mit der Initiative Reclaim Club Culture zu initiieren, für die sich in Folge ein nahezu 200-köpfiges Team begeistern ließ. Es folgten unzählige Conference-Calls, Entscheidungen, Partnerschaften, basierend auf vielen Jahren aufgebautem Netzwerk und Vertrauen. Chi-Thien Nguyen, John Muder und Tom Szana kümmerten sich um die Produktion. Anna Harnes dachte sich den Namen aus, Vinzent Britz entwickelte das Logo, Amelie Krzewina das Look&Feel. Marco Herzog setzte in wenigen Tagen eine Website und Server auf, Nils Gelfort kümmerte sich um Reichweite und Partnerschaften. Daniel Plasch und Katharin Ahrend koordinierten das Programm mit jedem einzelnen Club. Pablo Vollmer, Nicole Erfurth und Raimund Reintjes konzipierten ein möglichst faires Verteilungsmodell. Robin Schellenberg verbrachte mit seinem Social Media Team tage- und nächtelang am “digitalen Tresen”. ARTE Concert, rbb, Soundcloud, radioeins, FLUX FM, Siegessäule, VICE, … alle brachten ihre Ressourcen ein, um in Folge 73 Live-Streams zu produzieren und zu verbreiten. 570.000 € Spenden konnten wenige Monate später an 66 Clubs ausgeschüttet werden. 45.000 € Spenden gingen zudem an den Stiftungsfonds Zivile Seenotrettung, nach dem Motto „Not ist nicht gleich Not“. Aus United We Stream entwickelte sich nicht nur das Debattenformat „United We Talk“ in Partnerschaft mit ALEX Berlin, bei dem sich besonders Vorstandsmitglied Thomas Lehnen eingebracht hatte. United We Stream wurde zu einer weltweite Bewegung, die über 1,5 Millionen Euro Spenden in 104 Städten auf 5 Kontinenten sammeln konnte. United We Stream konnte über 2200 Künstler*innen eine virtuelle Bühne geben und auf die Sorgen von über 450 Spielstätten aufmerksam machen. United We Stream wurde mit dem VIA – VUT Indie Awards, dem Listen to Berlin Award und als Kultur- und Kreativpiloten ausgezeichnet.

SOFORTHILFEPROGRAMME

Auch die Aufmerksamkeit, die wir durch die Kampagne in über 100 Medien wie z.B. der Tagesschau, Süddeutsche Zeitung, The Guardian erhielten, half, der Politik verständlich zu machen, in welche Not wir durch die Pandemie und das Veranstaltungsverbot geraten sind.

Es wurde schnell allen klar, dass Clubs und Veranstalter*innen mit am Härtesten von der Krise betroffen sind. Und – im Unterschied zu anderen Branchen – hatten wir in Berlin fast jede/n betroffene/n Akteur*in in unserem WhatsApp-Chat oder Newsletter Verteiler. Wir konnten also mit Umfragen und direktem Austausch schnell und sehr genau beziffern, wie hoch die laufenden Kosten und die verbleibende Liquidität sind. Unsere Überzeugungsarbeit, vorwiegend durch Pamela Schobeß auf Landesebene und gemeinsam mit der LiveKomm (speziell Karsten Schölermann und Marc Wohlrabe) auch auf Bundesebene in Gremien und Ausschüssen vorgetragen, hatte auch dazu geführt, dass wir nicht als reine Gastronomiebetriebe gelten, sondern auch von Hilfsprogrammen profitieren sollten, die für Kulturorte und -produzenten zur Verfügung gestellt werden.

Mit Hilfe des Kurzarbeitergeldes konnten zumindest schonmal alle 9.000 festangestellten Mitarbeiter*innen gehalten werden. Mit den Soforthilfepaketen erhalten Clubs einen Ausgleich für ihre laufenden Kosten wie Mieten, Versicherungen etc., können zudem Investitionszuschüsse für Überdachungen, Lüftungen uvm. beantragen und außerdem Zuschüsse für kulturelle Programme in 2021 empfangen.

Berlin ist eines von nur vier Bundesländern, das ergänzend zu den Bundeshilfen ein entsprechendes Liquiditätsprogramm für Kulturorte aufgesetzt hat – zu denen explizit auch unsere Clubs gehören.

Es war nicht einfach, die Kriterien so anzupassen, dass mittlerweile alle Clubs von den Soforthilfen profitieren. Wir haben es allerdings geschafft, dass bis heute kein einziger Club in Berlin sein Geschäft aufgrund der Pandemie aufgeben musste. Es haben sich aber viele Clubs mit Krediten verschuldet oder wichtige Mitarbeiter*innen verloren, die sich neue Jobs gesucht haben. Die meisten Selbständigen und Mini-Jobber haben leider an den Hilfsprogrammen nicht partizipieren können und müssen sich von der Arbeitsagentur unterstützen lassen. Diese Krise ist und bleibt ein großer Einschnitt, was uns noch viele Monate und Jahre belasten wird. Gleiches gilt natürlich auch für die finanzielle Situation unseres Vereins, durch die uns unser Schatzmeister Marcel Weber und Geschäftsführer Lukas Drevenstedt bislang ohne Verluste und mit kühlem Kopf manövriert haben.

ANERKENNUNG VON CLUBKULTUR

Beim Jahresauftakt der Clubcommission im Festsaal Kreuzberg sagte noch Senator Klaus Lederer vor ca. 200 Clubbetreiber*innen und Veranstalter*innen: „Gesellschaftlich wird die Clubszene schon als Teil der Berliner Kultur verstanden.“ Die Gesetzgebung würde allerdings hinterherhinken. Um diese anzupassen, schlug die damalige Senatorin für Stadtentwicklung, Katrin Lompscher, vor, das Gesetz des Milieuschutzes auf Clubs zu erweitern. Auch von der CDU und den Grünen wurde Unterstützung angeboten. Wenige Tage später fand nämlich die Anhörung vor dem Bauausschuss des Bundestages an. Schaffen wir es, die Abgeordneten davon zu überzeugen, dass Clubs nicht als „Vergnügungsstätten“, sondern als „Anlagen für kulturelle Zwecke“ anerkannt werden? Bisher werden Clubs und Musikspielstätten als Vergnügungsstätten etwa mit Bordellen und Spielkasinos gleichgesetzt. U.a. Pamela Schobeß (Gretchen) und Jakob Turtur (Jonny Knüppel) waren dazu in den Ausschuss geladen und standen den Parlamentariern Rede und Antwort. Zwischenzeitlich gründete sich auch das fraktionsübergreifende „Parlamentarische Forum Clubkultur“ im Deutschen Bundestag. Über 120 Bundestagsabgeordnete überreichten einen offenen Brief an Bundesbauminister Seehofer in dem er aufgefordert wurde, im Rahmen des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens zur Baugesetzbuchnovelle, Clubs als Kultur anzuerkennen.

Ende Oktober entschied auch noch der Bundesfinanzhof, dass für Clubnächte der ermäßigte Umsatzsteuersatz gilt. Sie sind damit steuerrechtlich so zu behandeln wie Konzerte. Wir sind sehr froh über diese Entscheidung, auf das sehr viele Anwälte u.a. von der Clubcommission, des Cookies und des Berghains seit über 8 Jahren hinarbeiteten.

Als erstes Parlament der Welt, entschied das Berliner Abgeordnetenhaus am 11. November auf Antrag der Fraktionen SPD, Die Linke und Bündnis90/Die Grünen und unterstützt durch die CDU einen Antrag “Clubkultur als Teil von Berlin anerkennen und stärken

Darin wurde u.a. gefordert, dass Clubs als Anlagen für kulturelle Zwecke anerkannt werden, das Clubkataster der Clubcommission Anwendung bei der Bauplanung findet, das Agent of Change-Prinzip eingeführt- sowie der Schallschutzfonds weiter ausgebaut werden soll.

TAG DER CLUBKULTUR

Am 3. Oktober sendete die Berliner Clubkultur auf Initiative von Kultursenator Klaus Lederer ein Signal für ihre Vielfalt und Bedeutung und war damit weltweit die erste Stadt, die einen TAG DER CLUBKULTUR ausrichtete. 40 Clubs und Kollektive wurden an diesem mit je 10.000 Euro für ihr Engagement in der Berliner Clubkultur ausgezeichnet. Mit ihrer Vielfältigkeit und ihrem Facettenreichtum zeichnet die Stadt clubkulturelle Akteure aus und die Diversität der Berliner*innen für einen Tag gemeinschaftlich sichtbar gemacht und gefeiert. Zu den Ausgezeichneten zählten alteingesessene genauso wie jüngere Clubs, Kollektive mit langjährig etablierter Struktur und andere, die erst in den letzten Jahren ihre Arbeit begonnen haben. Da das Kuratorium hatte in seiner Auswahl besonderen Wert auf Intersektionalität und Diversität gelegt, so befand sich im Programm eine große Bandbreite an Musikgenres, Kunstdisziplinen, Community-Spaces, Themenschwerpunkten, Veranstaltungsorten und Medien. Die ausgezeichneten Clubs und Kollektive sowie weitere Bewerber*innen präsentierten bestuhlte Konzerte und Panel-Talks in den eigenen oder fremden Räumlichkeiten, Tanz-Events auf eigenen und öffentlichen Freiflächen, Ausstellungen, Performances, Radiosendungen, Vorträge, Kinderprogramm, Drag-Shows, Podien, Poetry-Slams, Klanginstallationen, Filme und vieles mehr. Alle teilnehmenden Clubs und Kollektive hatten für die Durchführung tragfähige Hygiene- und Sicherheitskonzepte zur Durchführung entwickelt.

FREIRÄUME FÜR CLUBS UND FESTIVALS

Der Verlust von Räumen für Clubkultur bildet schon seit vielen Jahren einen Schwerpunkt der Arbeit der Clubcommission. Unser Arbeitskreis RAUM wurde in den vergangenen zwei Jahren von Jakob Turtur und Daniel Plasch koordiniert, der Arbeitskreis FESTIVALS von Alexander Dettke, unterstützt u.a. von Larissa Krause und Angela Volz. Gegen die Verdrängung durch Nachbarschaftskonflikte und Neubauten hat die Clubcommission in den letzten Jahren viele Projekte initiiert, die über Mediation und Protestaktionen hinausgehen. Der SCHALLSCHUTZFONDS der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Energie wird von Raimund Reintjes und Stephanie Koller im Namen der Clubcommission verwaltet und beträgt eine Million Euro für 24 Monate. Clubs können hier Fördergelder beantragen, um Gutachten durchzuführen und Schallschutzmaßnahmen zu finanzieren. 33 Anträge von Clubs sind eingegangen, davon wurden 14 durch eine unabhängige Jury bewilligt. Sieben Projekte wurden bereits umgesetzt bzw. stehen kurz vor Abschluss. Das CLUBKATASTER wurde 2015 auf Initiative von Lutz Leichsenring in Zusammenarbeit mit dem Musicboard und dem Senat für Stadtentwicklung eingeführt. Die heutige Version 2.0 umfasst 479 Musikspielstätten und wurde mit Stadtplanern umgesetzt und hat sich von einer einfachen Kartenansicht zu einem Geoinformationssystem weiterentwickelt, welches Daten über Musikspielstätten mit Bebauungsplänen, Sanierungsgebieten, Neubauten und Planungszielen verbindet. So ist es möglich, frühzeitig Nutzungskonflikte zu erkennen und zu intervenieren. Das Thema wird von Jonas Seebauer, Kai Sachse und Lukas Drevenstedt behandelt. Wie können die bestehende sozio-kulturellen Freiräume geschützt und neue entwickelt werden? Wie können wir freiwilliges Engagement, welches eine nicht-kommerzielle Kultur zum Ziel hat und damit Aktivitäten engagierter Bürger*innen im Sinne des Gemeinwohls fördern? Ist ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren für nicht-kommerzielle Veranstaltungen im Freien möglich? Diese und andere Fragen beschäftigen unser Freiflächen-Team Johannes Grüß, Ilja Minaev, Erich Joseph, Michael Libuda und Jette Schwärmer. Das Team berät Festival- und Open-Air Veranstalter*innen, hat ein Muster-Hygienekonzept entwickelt und kümmert sich u.a. um unser Projekt KULTUR IM GRÜNEN, bei dem es um die Erkundung von Flächen in Parks und Grünanlagen geht, sowie die Prozessmoderation, um in Berlin mehr Flächen für Open Airs nutzen zu können. Passend zum Thema, veranstaltete die Clubcommission am 28.10. die Fachkonferenz CLUBS IM NEUBAU im Säälchen. Das Projekt brachte 80 Projektentwickler*innen, Fachplaner*innen und Clubakteur*innen zusammen, um über Potentiale und Clubstandorte zu sprechen. Im Rahmen der FREE OPEN AIR INITIATIVE der Clubcommission haben 2020 mehr als 300 Menschen an Roundtables, Workshops und Weiterbildungsangeboten teilgenommen. Daraus ist eine Telegrammgruppe mit 170 aktiven Mitglieder*innen, sowie ein Newsletter mit über 500 Empfänger*innen entstanden. Durch die vermittelnde (Überzeugungs-)Arbeit unseres Freiflächen-Teams und des AK Festivals konnten zahlreiche Festivals im Sommer dieses Jahres sicher stattfinden. Der vorbildliche Umgang mit der informellen Szene in Berlin fand auch in einer internationalen Kollaboration Gehör. Durch Mitwirkung von Diana Raiselis wurde die Arbeit der Clubcommission mehrfach im Global Nighttime Recovery Plan erwähnt, an dem sich über 130 Akteure aus 60 Städten weltweit arbeiten, um international voneinander zu lernen mit der Covid-19 Krise umzugehen.

BERATUNGSANGEBOT

Wie erfolgreich die Arbeit der Clubcommission ist, spiegelt sich auch in der Anzahl der Mitglieder wider. Heute hat der Verein 322 Mitglieder und damit diese Anzahl in den vergangenen sechs Jahren mehr als verdoppelt. Betreut werden unsere (Neu-)Mitglieder durch Gabriele Karamichalis und ehrenamtlich durch den 2. Vorsitzenden Sascha Disselkamp. Petra Sitzenstock, Fabian Kleinert und Holger Baumunk bilden den Kern unseres Experten- und BERATUNGSTEAMs. Dieses bietet Informations-, Netzwerk- und Weiterbildungsveranstaltungen an (z.B. Nightmanger*innen Meetup, zertifizierte Hygieneschulung, Corona-Info-Calls). Allein in 2020 waren dies 280 Einzelberatungen mit Unterstützung von knapp 20 Fachexpert*innen aus branchenrelevanten Fachbereichen (z.B. Genehmigungsverfahren Ämter, GEMA, Awareness, Nachhaltigkeit, Inklusion, Versicherungen, Steuer, Recht), sowie acht (Online-)Info-Veranstaltungen, ein 2-tägiges Seminar zur/m zertifizierte/n Hygienebauftragte/n. Klimawandel ist auch in der Clubcommission ein Schwerpunktthema. Daher wurden in Zusammenarbeit mit Konstanze Meyer von CLUBTOPIA eine mehrwöchige Schulung zur/m Green Night Manager*in angeboten, sowie das erfolgreiche Innovationslabor „Future Party Lab“ veranstaltet, bei dem über 300 Menschen in 3 Veranstaltungen innovative Ideen für eine klimafreundliche Clubszene entwickelten. Unterstützt von Lennart Hellmann versendet das Clubcommission Beratungsteam auch einen 2-wöchentlichen Info-Brief mit Schwerpunkt auf die Hilfs- u. Förderprogramme sowie weitere Infos rund zum Thema COVID-19. Mit Unterstützung des Auswärtigen Amts, haben wir uns mit einem digitalen Programm an der Langen Nacht der Ideen beteiligt, in der verschiedene Arbeitskreise der Clubcommission ihre Themen präsentiert haben, geplant und umgesetzt von Timo Koch und vielen Helfer*innen aus dem Clubcommission Büro. Die Clubcommission beteiligte sich in den letzten Jahren auch aktiv an Prävention und Suchthilfe im Rahmen von SONAR BERLIN. Das Projekt ist eine Kooperation von Berliner Präventions- und Suchthilfeprojekten, der Initiative eclipse sowie der Clubcommission Berlin und bietet in der Berliner Partyszene Infostände, Schulungen, Workshops und Beratungen an. Derzeit laufen in diesem Rahmen auch die Vorbereitungen für das erste Drugtesting-Angebot in Berlin.

AWARENESS ARBEIT

Der Bereich und Arbeitskreis Awareness & Diversity wird von Katharin Ahrend koordiniert und auf Seiten des Vorstands von Lewamm „Lu“ Ghebremariam und İpek İpekçioğlu unterstützt und mitgestaltet. Der Arbeitskreis setzt sich damit auseinander wie möglichst sichere und vielfältige Umgebungen in der Club- und Festivalkultur geschaffen werden können. 

Ein zentrales Projekt unserer Arbeit ist der Aufbau einer AWARENESS-AKADEMIE, bei der Strukturen geschaffen und Ressourcen bereitgestellt werden, die eine diverse Clubkultur ermöglichen soll, an der alle Mitglieder unserer Gesellschaft teilhaben und mitgestalten können. Das Projekt sieht sich als eine Anlaufstelle, Beratung, Vermittlung von Fachexpertise und als Plattform für Vernetzung und Dialog zur Awarenessarbeit in der Clubkultur. Ein Herzstück des Projekts sind die regelmäßigen Awareness & Diversity Roundtables, die aktuell relevanten Themen die verschiedensten Akteur*innen der Berliner Clubkultur zum Austausch zusammenbringen. In Zusammenarbeit mit Eine Welt der Vielfalt e.V., der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung und der LADS (Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung wurde zudem das Projekt DIVERSITYGERECHTES AUSGEHEN IN BERLIN gestartet, um unter anderem eine ganzheitliche Fortbildungsreihe zur Stärkung der Awareness & Diversity Kompetenz in der Clubkultur zu entwickeln. Seit Juni diesen Jahres hat hierfür Melissa Kolukisagil das Projektmanagement inne. Ende 2020 folgte auch die Online-Studie SEXISM FREE NIGHT, die europaweit Sexismus und sexualisierte Gewalt im Nachtleben und die Schnittstelle zu Drogenkonsum erforscht. Ziel für das kommende Jahr ist in diesem Rahmen die Entwicklung von Trainingskursen für Clubs und Mitarbeitende, sowie eine Sensibilisierungskampagne zur Förderung eines egalitären Nachtlebens für Alle.

WIE GEHT ES WEITER?

Die Clubcommission hat bereits einen sehr aktiven Arbeitskreis, koordiniert durch Sebastian Riedel und Steffen Schulz, der sich mit Lösungen und Zukunftsszenarien auseinandersetzt. Hier beschäftigen wir uns auf Bundes- und Landesebene intensiv mit Schnelltest-Zentren, Lüftungstechnologien, Tracing Apps uvm. Unsere Vorarbeit und Koordination mit den Bezirken für die Nutzung von Freiflächen, wird uns im nächsten Jahr mehr Optionen für Veranstaltungen unter freiem Himmel bieten. Auch die Hilfsprogramme haben zudem Investitionen ermöglicht, die viele Clubs etwas flexibler bei schlechten Wetterbedingungen machen. Wir gehen wir davon aus, dass die Draußen-Saison in 2021 früher beginnen kann als in den Jahren zuvor. Bis dahin müssen günstige und überall verfügbare Schnelltests für eine höhere Sicherheit sorgen – und ggfls. auch Alternativen zu Abstand und Maske sein. Dazu sind allerdings noch klinische Studien notwendig, die diesen Nachweis erbringen. Wir stehen zu diesen Themen in engem Austausch mit der Senatsverwaltung für Kultur. Es wird darauf ankommen, dass jede Bar, jeder Konzertsaal, Festival und Club ein eigenes Konzept entwickeln kann, dass eine sichere Durchführung ermöglicht. Die Clubcommission versucht ihren Beitrag zu leisten, dafür Ressourcen, Kontakte und Konzepte zur Verfügung zu stellen. Auch arbeiten wir daran, dass wir von der Politik in dieser Übergangsphase weiterhin solidarisch unterstützt werden, bis wir wieder auf eigenen Füßen stehen können. Insbesondere könnt ihr auf uns zählen, dass im 20. Jahr unseres Bestehens, wir all die Freiheitsrechte wieder lautstark einfordern werden, die wir in den letzten Monaten einbüßen mussten. Lasst uns nicht auseinanderdividieren sondern diese Herausforderung gemeinsam und solidarisch bewältigen.

An dieser Stelle möchten wir nochmal DANKE sagen an unser großartiges Team und die vielen ehrenamtlichen Unterstützer*innen, die mit uns gemeinsam die vielen Hürden in diesem Ausnahmejahr 2020 genommen haben.

Bleibt negativ, aber optimistisch!

Pamela, Sascha, Marcel, Lutz

Im Namen des Vorstands der Clubcommission

2020 Berghain-Urteil: Entscheidung und Konsequenz

Ermäßigter Steuersatz für die Veranstaltung von Techno- und House-Konzerten  

2020 Berghain-Urteil Entscheidung und Konsequenz (Zusammenfassung)

  1. Stellungnahme Kanzlei Härting (Nov. 2020)
  2. Fazit Kanzlei Härting (vom 12.11.20)
  3. Urteil des BFH vom 23.07.2020 (veröffentlicht Nov. 2020)
  1. Stellungnahme

BFH: CLUBNÄCHTE STEUERRECHTLICH ZU BEHANDELN WIE KONZERTE

Link Webseite

Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass für Clubnächte der ermäßigte Umsatzsteuersatz gilt. Sie sind steuerrechtlich so zu behandeln wie Konzerte.

Mit seinem Urteil vom 23.7.2020 (V R 17/17, veröffentlicht am Nov. 2020) stellt der BFH fest:

  1. Eintrittserlöse für Techno- und House-Konzerte sind nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG steuersatzermäßigt, wenn diese Musikaufführungen den eigentlichen Zweck der Veranstaltung darstellen und die daneben erbrachten Leistungen von so untergeordneter Bedeutung sind, dass sie den Charakter der Musikaufführung nicht beeinträchtigen.
  2. Die Darbietung von Techno- und House-Musik durch verschiedene DJs kann einer Veranstaltung auch dann das Gepräge eines Konzerts oder einer konzertähnlichen Veranstaltung geben, wenn die Musikaufführungen regelmäßig (wöchentlich) stattfinden (Fortführung des BFH-Urteils vom 18.08.2005 – V R 50/04, BFHE 211, 557, BStBl II 2006, 101).

(Link Urteil)

Damit bestätigt das Gericht die Entscheidung des Finanzgerichts, das die Clubnächte im Berghain Konzerten und – anders als das Finanzamt – nicht Partyveranstaltungen gleichgestellt hat, weswegen sich die Umsatzsteuer für die Eintrittsberechtigung reduziere auf 7% gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG

BERGHAIN = KULTUR = REDUZIERTER STEUERSATZ AUF EINTRITTSGELDER!

Wenn das Publikum dem DJ zugewandt ist und seine Leistungen mit Applaus und Jubelrufen „goutiert“, spricht dies für den Konzertcharakter der Veranstaltung. (Link Artikel)

Das Gericht stellt klar, dass die DJ-Musik einem Konzert gleich komme und den eigentlichen Zweck der Veranstaltung ausmache. Aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers scheitere die Qualifizierung als Konzert nicht daran, dass es angesichts der Einlassregelung (Auswahl durch einen Türsteher) keinem Besucher möglich sei, die Veranstaltung gezielt zu der von ihm gewünschten Darbietung aufzusuchen.

Der Konzertcharakter der musikalischen Darbietung werde auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass eine Interaktion zwischen DJ und Publikum erfolgt und nicht der Künstler im Vordergrund steht, sondern das „feierwütige“ Publikum.

Interaktionen zwischen DJ und Publikum – seien sie nun positiver (wie Klatschen/Jubeln) oder negativer Art (wie Ausbuhen/Auspfeifen) – sind auch traditionellen Konzerten nicht wesensfremd. Abgesehen davon ergibt sich aus der vom FG festgestellten tendenziellen Ausrichtung des Publikums auf den DJ sowie dem Leeren der Tanzfläche nach einem DJ-Set hinreichend deutlich, dass der DJ – wie bei Konzerten üblich – im Vordergrund der Darbietung steht.

Der BFH schließt sich den Ausführungen des Finanzgerichts an, welches auf den Blickwinkel des sogenannten Durchschnittsverbrauchers abstellt und zu dem Ergebnis gelangt ist, die Auftritte der DJs würden den Klubnächten das konzertante Gepräge geben.

Die Musik sei sehr laut und wirke auch körperlich, sodass sich die Besucher ihr nicht entziehen könnten und gleichsam gezwungen würden, ihre Bewegungen nach der Musik auszurichten. Darüber hinaus reagierten Künstler und das Publikum unmittelbar aufeinander, indem bspw. bei besonders gelungenen Momenten sowie bei Beendigung eines DJ-Sets geklatscht oder gejubelt werde. Dem Publikum gehe es insbesondere darum, die Kreativität des jeweiligen DJs mitzuerleben, es richte sich tendenziell in Richtung DJ aus. Welcher DJ wann spiele, werde bereits Wochen im Voraus auf einer Homepage angekündigt und relativ nahe vor dem Auftritt ein genauer Zeitplan zur Verfügung gestellt. Dem stünde die ständige Fluktuation der Gäste nicht entgegen; auch bei Musikfestivals sei es üblich, dass die Besucher nicht der gesamten Darbietung beiwohnten, sondern sich zwischendurch zurückziehen, um sich zu unterhalten, zu entspannen oder das Festivalgelände zu verlassen. Die Fluktuation ergebe sich daraus, dass Personen, die verschiedene DJs gut fänden, vom Hauptraum in den anderen Veranstaltungsbereich wechselten und umgekehrt. Auf das Verhältnis zwischen den Umsätzen aus Eintrittsberechtigung und Gastronomie komme es nicht an. Die erheblichen, an die Künstler gezahlten Honorare sprächen vielmehr gegen die Bewertung der Klubnächte als reine Partyveranstaltungen.

Schließlich stellt das Gericht auch noch fest, dass der Getränkeumsatz im Regelfall nichts darüber aussagt, ob es sich bei der Veranstaltung dem Charakter nach um ein Tanzvergnügen oder ein Konzert handelt. Auch die Regelmäßigkeit von DJ-Auftritten spreche nicht gegen die Annahme von Konzerten. Weiter sei es auch nicht schädlich, wenn die DJs nicht ausgeleuchtet werden und visuell im Hintergrund bleiben, da die Gäste die DJs von nahezu jedem Platz aus sehen und wegen der Lautstärke der abgespielten Musik in jedem Fall aber hören können. Weiter kommt es auch nicht auf die „Fluktuation“ der von den Türstehern ausgesuchten Gäste an.

Für die Clubs bedeutet dies, dass sie in den Genuss des ermäßigten Steuersatzes kommen, wenn der Auftritt ihrer DJ’s den eigentlichen Zweck der Veranstaltung ausmacht und die Begleitumstände (Tanzen, Feiern, Getränkeverkauf) dagegen zurücktreten.  Auch, wenn diese Voraussetzungen im Einzelfall geprüft werden müssen, dürften die meisten Clubs nun von der Anwendung des geringeren Steuersatzes profitieren können.

Liegen diese Voraussetzungen vor, stellt sich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Clubbetreiber, die nach dem Urteil des BFH zu viel gezahlte Umsatzsteuer zurückverlangen können.

Der allgemeine steuerrechtliche Erstattungsanspruch ist in § 37 Abs. 2 AO geregelt. Ist eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags.

Ein Anspruch auf Rückerstattung überzahlter Umsatzsteuer kommt also nur dann in Betracht, wenn die entsprechend fehlerhaften Steuerbescheide noch nicht in Bestandskraft erwachsen sind. Die Rückerstattung setzt nämlich voraus, dass die überzahlte Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt wurde – dies ist nur dann der Fall, wenn der Steuerbescheid noch abgeändert oder aufgehoben werden kann. Anderenfalls besteht durch den rechtskräftigen Steuerbescheid ein sogenannter formeller Behaltensgrund. Das ist die beabsichtigte Folge der Bestandskraft, die Rechtsfrieden schaffen soll. Dahinter tritt der Anspruch auf materielle Richtigkeit zurück.

Wann und wie eine Abänderung noch möglich ist, ist bestenfalls mit dem eigenen Steuerberater zu klären. Außerdem können die Rechtsmittelfristen, die Teil der dem Steuerbescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung sind, einen ersten Anhaltspunkt hierfür geben.

B) Fazit

  • Ein Anspruch auf Rückerstattung überzahlter Umsatzsteuern besteht nach § 37 Abs. 2 AO (nur), wenn die entsprechenden (fehlerhaften) Steuerbescheide noch nicht in Bestandskraft erwachsen sind. Dies ist eine Frage des Einzelfalls, die mit dem Steuerberater zu klären ist.
  • Sofern mit Hilfe des Steuerberaters eine abschließende Klärung der Bescheidslage nicht möglich ist, sollte im Zweifel die Rückerstattung beim Finanzamt beantragt werden.

Ob und unter welchen Voraussetzungen ist eine Rückforderung zuviel gezahlter Umsatzsteuern möglich?

Der allgemeine steuerrechtliche Erstattungsanspruch ist in § 37 Abs. 2 AO geregelt. Ist eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags.

Der Erstattungsanspruch kann nur verwirklicht werden, soweit ein entgegenstehender VA aufgehoben oder geändert worden ist (vgl. § 218 Abs. 1 AO). Ein materiell rechtswidriger, aber nicht mehr anfechtbarer VA begründet zumindest eine formelle Leistungspflicht und gewährt einen formellen Behaltensgrund. Das ist die beabsichtigte Folge der Bestandskraft, die (formellen) Rechtsfrieden schaffen soll. Dahinter tritt der Anspruch auf materielle Richtigkeit zurück. Zwar ist die Beseitigung der (materiell unrichtigen) formellen Rechtslage nicht Voraussetzung für die Entstehung des Erstattungsanspruchs, aber für seine Verwirklichung. Ist der Steuerbescheid (VA) nur rechtswidrig, muss seine Änderung oder Aufhebung nach den dafür geltenden Vorschriften, insbesondere nach den §§ 129 ff, 172 ff noch möglich sein und herbeigeführt werden (Klein/AO, § 37, Rn. 46, 47). Ist dies nicht der Fall, ist auch die Erstattung nicht möglich.

Gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2 lit. d) AO sind die allgemeinen Vorschriften zur Rücknahme/Widerruf rechtswidriger Verwaltungsakte nicht auf Steuerbeschiede anwendbar (vgl. Klein/AO, § 130, Rn. 10). 

a)      Änderung gem. § 17 Abs. 1 UStG

§ 17 beschränkt sich auf Fälle, in denen sich die Bemessungsgrundlage zur USt (Entgelt) bzw. die Höhe des Vorsteuerabzugs (gesetzlich geschuldete Steuer) nachträglich ändert (Bunjes/UStG, § 17, Rn. 7). Damit ist § 17 UStG nicht anwendbar.

b)      Änderung gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO

Hier kommt eine Änderung des Steuerbescheides wegen Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses (der Gerichtentscheidung) gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO in Betracht. 

Aus tatsächlichen Gründen entfällt der rechtliche Grund ex tunc, wenn nachträglich (also nach seiner Entstehung; BFH/NV 06, 1945) ein Ereignis eintritt, das den Sachverhalt rückwirkend verändert. Ist das der Fall, wird die Sachlage (fiktiv) von Anfang an so behandelt, wie sie sich (tatsächlich) erst nach dem Eintritt des Ereignisses darstellt. Wäre der Anspruch (rechtliche Grund) dann nicht oder nicht in derselben Höhe entstanden, ist die materiell-rechtliche Folge, dass der rechtliche Grund rückwirkend entfällt. Bereits erbrachte Zahlungen sind zu erstatten. Der Erstattungsanspruch ist bereits mit der (rückwirkend rechtsgrundlosen) Zahlung entstanden. Seine Durchsetzung hängt davon ab, dass auch die Bescheidlage korrigiert wird. § 175 I 1 Nr. 2 erlaubt insoweit die Durchbrechung der Bestandskraft. Welche nachträglich eintretenden Ereignisse (Tatsachen) auf die Entstehung des Anspruchs zurückwirken, ergibt sich aus den Steuergesetzen (Klein/AO, § 37, Rn. 40,41).

Die Vorschrift regelt den Fall, dass sich der richtig ermittelte und steuerrechtliche beurteilte Sachverhalt durch eine später eingetretene tatsächliche Entwicklung verändert und dieser Entwicklung nach den  einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften Rechtserheblichkeit für den bereits erlassenen Steuerbescheid zuzumessen ist. Es kommt entscheidend darauf an, ob die Entscheidung des BFH Rückwirkung entfaltet. Gerichtsentscheidungen, welche im Allgemeinen den Tatbestand, an den das Steuergesetz anknüpft, nicht verändern, sondern lediglich die „richtige“ steuerliche Behandlung eines Vorgangs erkennbar werden lassen, entfalten keine Rückwirkung (Klein/AO, § 175, Rn. 83 m.w.N.). Eine Gerichtsentscheidung kann dann ein rückwirkendes Ereignis sein, wenn sie durch ein Gestaltungsurteil den Tatbestand, an den das Steuergesetz anknüpft, rückwirkend verändert. Aber ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das Gericht hat nicht den Tatbestand durch Gestaltungsurteil geändert, sondern lediglich die steuerliche Behandlung von Clubnächten mit DJs erörtert und entschieden. Der Sachverhalt als solcher wurde aber nicht rückwirkend verändert und ihn nicht lediglich steuerrechtlich anders würdigt (vgl. BFH, Urteil vom 02.08.1994 – VIII R 65/93 = BeckRS 1994, 22011175). Eine Änderung gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO scheidet also aus.

Andere Änderungstatbestände kommen nicht in Betracht, sodass eine Änderung der bereits rechtskräftigen Bescheide nicht in Betracht kommt.  Gegen noch nicht rechtskräftige Bescheide kann im Rechtsbehelfsverfahren vorgegangen werden.

C)  Urteil

BFH Bundesfinanzhof:  Urteil vom 23. Juli 2020, V R 17/17

Ermäßigter Steuersatz für die Veranstaltung von Techno- und House-Konzerten        

Link Webseite

ECLI:DE:BFH:2020:U.230720.VR17.17.0

BFH V. Senat

UStG § 12 Abs 2 Nr 7 Buchst a , EGRL 112/2006 Art 98 Abs 1 , EGRL 112/2006 Art 98 Abs 2 , EGRL 112/2006 Art 98 Anh 3 Nr 7 , UStG VZ 2009 , GG Art 3 Abs 2 , GG Art 3 Abs 3 

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 06. September 2016, Az: 5 K 5089/14

Leitsätze

1. Eintrittserlöse für Techno- und House-Konzerte sind nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG steuersatzermäßigt, wenn diese Musikaufführungen den eigentlichen Zweck der Veranstaltung darstellen und die daneben erbrachten Leistungen von so untergeordneter Bedeutung sind, dass sie den Charakter der Musikaufführung nicht beeinträchtigen.

2. Die Darbietung von Techno- und House-Musik durch verschiedene DJs kann einer Veranstaltung auch dann das Gepräge eines Konzerts oder einer konzertähnlichen Veranstaltung geben, wenn die Musikaufführungen regelmäßig (wöchentlich) stattfinden (Fortführung des BFH-Urteils vom 18.08.2005 – V R 50/04, BFHE 211, 557, BStBl II 2006, 101).

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 06.09.2016 – 5 K 5089/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Streitig ist, ob die Eintrittsgelder aus den von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) im Streitjahr (2009) veranstalteten „Klubnächten“ dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
  2. Die Klägerin betreibt in C den Techno-Klub „X“. Der musikalische Hauptbetrieb findet im ersten und im zweiten Obergeschoss statt. Dort befinden sich die Veranstaltungsbereiche „X“ und „Y“. In diesen veranstaltet die Klägerin wöchentlich zwischen Freitagnacht und Samstagnachmittag sowie zwischen Samstagnacht und Montagmorgen sog. Klubnächte, bei denen bis zu 30 verschiedene Discjockeys (DJs) auftreten. Während im ersten Obergeschoss („X“) überwiegend Musik des Genres „Techno“ gespielt wird, steht im zweiten Obergeschoss („Y“) Musik des Genres „House“ im Vordergrund der Darbietungen. Im „Y“ stehen die DJs auf Augenhöhe mit dem Publikum, im „X“ sind sie in einer Wandnische an einem leicht erhöhten Standort positioniert, gelegentlich wird eine Bühne mit einer Höhe von etwa einem Meter aufgebaut. Neben den Bühnen befinden sich Bars, Tanzflächen, Sitzmöglichkeiten sowie zwei sog. Darkrooms. Die Gäste können nahezu von jedem Platz aus die auftretenden DJs sehen, sie wegen der Lautstärke der abgespielten Musik in jedem Fall aber hören. Die DJs spielen Musik von Tonträgern ein und verändern diese mithilfe des Mischpults und anderen technischen Hilfsmitteln wie Computern, Filtern, Effektgeräten, Controllern und Synthesizern. Dabei werden neue Klangfolgen und Musikstücke geschaffen.
  3. Im Streitjahr gab die Klägerin für Künstlerhonorare, Reisekosten, Vermittlungsprovisionen und die Entlohnung der Mitarbeiter der sog. Booking-Abteilung ca. … € aus. Die jeweils auftretenden DJs sind u.a. aus dem Internet ersichtlich, wo auch das Programm („Running Order“) eingesehen werden kann. Die Künstler und deren Musik werden dort sowie auf Werbeflyern und vor Ort detailliert beschrieben.
  4. Der Einlass zu den Veranstaltungen wird ausschließlich von Türstehern geregelt, die eine subjektive Auswahl unter den Besuchern treffen und zahlreiche potentielle Gäste abweisen; der Erwerb von Eintrittskarten im Vorverkauf ist nicht möglich. Die Klubnächte eines Wochenendes werden von durchschnittlich 3 000 Gästen besucht.
  5. Die Klägerin ging davon aus, dass es sich bei der Veranstaltung von Klubnächten um Konzerte i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (UStG) handele und erklärte die Erlöse aus den Eintrittsgeldern für die Klubnächte daher zum ermäßigten Steuersatz.
  6. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung war der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) dagegen der Auffassung, dass die musikalischen Darbietungen der DJs nicht den eigentlichen Zweck der Veranstaltungen ausmachten. Es handele sich vielmehr um typische Party- und Tanzveranstaltungen, bei denen es in erster Linie um das für eine Party typische Amüsement der Gäste gehe. In dem hierauf geänderten Umsatzsteuerbescheid unterwarf das FA die Eintrittserlöse aus den Klubnächten dem Regelsteuersatz. Den Einspruch der Klägerin, die zur Begründung u.a. auf die sog. Mayday-Entscheidung des Senats vom 18.08.2005 – V R 50/04 (BFHE 211, 557, BStBl II 2006, 101) rekurrierte, wies das FA im Anschluss an eine weitere Umsatzsteuer-Sonderprüfung –und einen hierauf erneut geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr vom 24.07.2013– als unbegründet zurück: Der musikalische Auftritt der DJs bilde nicht den eigentlichen Zweck der Veranstaltungen, es gehe vielmehr um das gemeinsame Feiern, Tanzen, Unterhalten und Sich-Vergnügen auf jedwede Art und Weise von musikalisch Gleichgesinnten. Das Engagement bekannter DJs diene lediglich als Anreiz für den Besuch des Klubs. Zweck der Veranstaltungen sei –angesichts mehrerer Bar- und Lounge-Bereiche sowie zweier Darkrooms– ein typischer Klub- und Diskothekenbetrieb. Hierfür spreche auch, dass sich die Eintrittspreise für den Zutritt zu den Klubnächten (10 € bis 14 €) im Rahmen des für Party- und Tanzveranstaltungen Üblichen bewegten. Aus dem Verhältnis der Umsätze für den Eintritt (ca. 1,6 Mio. €) und der Gastronomie (ca. 2,7 Mio. €) ergebe sich, dass die Gastronomieleistungen nicht von untergeordneter Bedeutung seien.
  7. Die dagegen erhobene Klage führte zum Erfolg. Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 256 veröffentlichten Urteil des Finanzgerichts (FG) unterliegen die Eintrittsgelder für die Klubnächte dem ermäßigten Umsatzsteuersatz. Die Klubnächte erfüllten den Konzertbegriff und die musikalischen Darbietungen der DJs gäben der gesamten Veranstaltung ihr Gepräge. Die DJs würden im Rahmen der Klubnächte eigenständige Musikstücke von künstlerischem Charakter aufführen, die sie in einem kreativen Prozess schaffen. Dies habe auch das FA nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Darüber hinaus sei das FG nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass diese Darbietungen den Klubnächten das Gepräge gäben.
  8. Mit seiner Revision rügt das FA die unrichtige Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG und trägt zur Begründung vor:
  9. Das Urteil sei fehlerhaft, weil das FG nicht alle relevanten Gesichtspunkte in die erforderliche Gesamtbetrachtung einbezogen und eine nicht mehr vertretbare Gewichtung der einzelnen Beurteilungskriterien vorgenommen habe. Bei der Würdigung des Hauptzwecks der Veranstaltung habe das FG zum einen ungeeignete Abgrenzungskriterien herangezogen und zum anderen die Heranziehung geeigneter Abgrenzungsmerkmale unterlassen oder diesen keine Bedeutung beigemessen.
  10. Bei Abgrenzung von Konzerten zu Partyveranstaltungen habe das FG ungeeignete Kriterien herangezogen:
  11. Indem das FG auf die körperliche Wirkung der Musik sowie die unterstützenden Lichteffekte abgestellt habe, verkenne es, dass dies auch in modernen Diskotheken der Fall sei. Da diese Merkmale zur Abgrenzung ungeeignet seien, könnten sie nicht für den Konzertcharakter der Klubveranstaltungen sprechen; dasselbe gelte für die Kriterien „Beifall und Jubel“ sowie „Kenntnisreichtum des Publikums“. Auch die „Interaktion zwischen DJ und Publikum“ sei kein konzerttypisches Merkmal, sondern ein Merkmal, das insbesondere Party- und Tanzveranstaltungen charakterisiere. Typisch für eine Konzertveranstaltung sei vielmehr, dass der Künstler als Hauptperson sein im Vorfeld festgelegtes Programm darbiete, während das Publikum „nur“ Konsument sei. Vorliegend reagiere hingegen der DJ mit der Auswahl seiner Titel flexibel auf das Publikum, das mit seinen Wünschen (Tanzen, Jubeln, Verlassen des Raums) im Zentrum der Veranstaltung stehe. Der Vorankündigung der Spielzeiten des jeweiligen DJs komme keine indizielle Wirkung zugunsten eines Konzerts zu, weil es angesichts der Einlassregelung (Auswahl durch Türsteher) keinem Besucher möglich sei, die Veranstaltung gezielt zu der von ihm gewünschten Darbietung aufzusuchen. Ob jemand eingelassen werde, hänge damit praktisch vom Zufall ab.
  12. Weiterhin habe das FG geeignete Abgrenzungsmerkmale nicht oder nicht hinlänglich berücksichtigt:
  13. Die Einlassregelung durch Türsteher habe das FG noch in seinem Urteil vom 09.08.2012 – 5 K 5226/10 (EFG 2013, 91) als Argument gegen eine Konzertveranstaltung angesehen. Zudem lasse das FG unberücksichtigt, dass die Einlassregelung durch Türsteher zwar ein typisches Instrumentarium von Diskotheken und Partyveranstaltungen, bei Konzerten hingegen unüblich sei.
  14. Während das FG im Urteil in EFG 2013, 91 aus der ständigen Fluktuation der Gäste geschlossen habe, dass die Musik nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehe, sei dieser Aspekt vorliegend nicht berücksichtigt worden. Der Besucherzustrom erfolge zwar in gewissen Wellenbewegungen (Stoßzeiten), diese richteten sich aber nicht nach den Auftrittszeiten der DJs oder deren Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad, sondern nach der Partyzeitgestaltung von bestimmten Gruppen („Feiertypen“).
  15. Das FG habe es ferner unterlassen, in seine Würdigung die Intention der Klägerin als Veranstalterin einzubeziehen: Diese teile ihre Veranstaltungen in „dancefloor“ und „stage“ ein. In der Kategorie „dancefloor“ würden alle Party- und Tanzveranstaltungen einschließlich der Klubnächte ausgewiesen, in der Kategorie „stage“ dagegen alle Konzerte. Bei Berücksichtigung dieses Umstands hätte das FG zu dem Schluss kommen müssen, dass die Klägerin nicht beabsichtigt habe, Konzerte zu veranstalten, sondern eine gemischte Leistung eigener Art zu erbringen, bei der es vornehmlich um die Begegnung von Menschen, die Interaktion zwischen den Gästen und die Möglichkeit der kreativen Entfaltung des Einzelnen gehe; dies belege auch die Begründung der Klägerin für das Fotografierverbot im Klub.
  16. Gegen die Annahme der Konzerteigenschaft spreche im Übrigen, dass die Künstler vor ihrem Auftritt weder vorgestellt noch angekündigt würden und sich auch nicht von einem gut sichtbaren Platz aus präsentierten. Soweit das FG feststelle, die Gäste könnten nahezu von jedem Platz aus die DJs sehen, stütze es sich hierbei ausschließlich auf den klägerischen Vortrag, ohne dass erkennbar sei, aus welchen Gründen es dem entgegenstehenden Vortrag des FA keinerlei Bedeutung beigemessen habe. Aufgrund der Lichtverhältnisse, durch die starke Verwinkelung des Veranstaltungsgebäudes und durch die Abgetrenntheit zahlreicher Räumlichkeiten sei eine Visualisierung des DJs für die überwiegende Anzahl der Besucher nicht möglich; die Künstler würden mithin nur im Hintergrund tätig.
  17. Zu Unrecht habe das FG auch dem Umstand, dass der DJ mit seinem Programm bereits beginne, wenn die ersten Gäste die Räumlichkeiten betreten, keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen. Damit lasse es außer Acht, dass es für Konzerte völlig untypisch sei, mit der Musik bereits zu beginnen, bevor alle Gäste im Veranstaltungsraum anwesend seien.
  18. Zur Beurteilung der für die Gäste vertragswesentlichen Leistung habe sich das FG ausschließlich auf die Einschätzung des Zeugen berufen, obwohl dessen Einschätzung seinen Publikationen widerspreche. Zu dieser Widersprüchlichkeit sei der Zeuge nicht befragt worden.
  19. Das FG habe in seine Gesamtbetrachtung außerdem nicht einbezogen, dass die streitigen Veranstaltungen wöchentlich freitags und samstags stattfinden. Das regelmäßige Stattfinden der Veranstaltung sei jedoch Indiz dafür, dass der Party- und Tanzcharakter überwiege (Urteil des Sächsischen FG vom 13.04.2011 – 4 K 2038/09, nicht veröffentlicht). Ebenso sei dem Verhältnis der Eintrittserlöse zu den Gastronomieumsätzen keine entscheidende Bedeutung beigemessen worden. Nach Auffassung des Sächsischen FG weise die Eintrittspreisgestaltung indiziell auf das Vorliegen von Party- und Tanzveranstaltungen hin. Der geringe Eintrittspreis für Klubnächte stehe in keinem Verhältnis zu den hohen, mitunter vierstelligen Gagen der DJs. Hieraus folge, dass die künstlerischen Darbietungen die Veranstaltung nicht prägten, sondern nur einen Teil einer gemischten Leistung darstellten.
  20. Schließlich widerspreche das FG-Urteil auch dem Sinn und Zweck der Steuerbegünstigung. Damit solle der Allgemeinheit ein günstiger Zutritt zu kulturellen Ereignissen ermöglicht werden. Dies sei wegen der subjektiven Auswahl der Besucher im Streitfall nicht gegeben. Im Übrigen widerspreche das Bereitstellen von sog. Darkrooms zum Austausch anonymer sexueller Handlungen dem Grundgedanken einer öffentlichen Förderung von kulturellen Veranstaltungen.
  21. Das FA beantragt,
    das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
  22. Die Klägerin beantragt,
    die Revision gegen das Urteil des FG zurückzuweisen.
  23. Sie verteidigt das Urteil des FG und führt ergänzend aus: Für die Beurteilung, worin das prägende Element einer Leistung liege und aus welcher Sichtweise dies zu beurteilen sei, komme es nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Město Žamberk vom 21.02.2013 – C-18/12 (EU:C:2013:95, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR– 2013, 360) auf den dominierenden Charakter aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte an. Danach bestehe die maßgebliche Leistung der Klägerin darin, den Besuchern Eintritt zu ihren Klubnächten zu gewähren, bei denen international anerkannte DJs nach einem genau festgelegten, vorab bekanntgegebenen, zeitlichen Plan auftreten und musikalische Darbietungen von künstlerischer Bedeutung aufführten.
  24. Das FG sei unter Berücksichtigung von objektiv feststellbaren Gesichtspunkten zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass der Großteil der Besucher wegen der musikalischen Darbietungen und der Vielfalt der auftretenden Künstler zu den Klubnächten komme. Dass einige Besucher andere unterhaltende Elemente bevorzugen mögen, sei für die umsatzsteuerliche Beurteilung ohne Belang. Die vom FA punktuell ausgewählten und in vielen Fällen aus dem Zusammenhang gerissenen Pressestimmen und Medienechos seien hingegen ohne Bedeutung.
  25. Mit ihren Schriftsätzen vom 01.07.2020 (FA) und vom 17.07.2020 (Klägerin) haben die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Eintrittsgelder für die Veranstaltung der Klubnächte dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
  2. 1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für die Eintrittsberechtigung für Theater, Konzerte und Museen sowie für die den Theatervorführungen und Konzerten vergleichbaren Darbietungen ausübender Künstler.
  3. Unionsrechtliche Grundlage dieser Steuerermäßigung ist Art. 98 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. 11. 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach können die Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Steuersätze auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwenden. Dabei kann nach Anhang III Kategorie 7 der MwStSystRL ein ermäßigter Steuersatz zugunsten der Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen, Theater, Zirkus, Jahrmärkte, Vergnügungsparks, Konzerte, Museen, Tierparks, Kinos und Ausstellungen sowie ähnliche kulturelle Ereignisse und Einrichtungen eingeführt werden.
  4. 2. § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG definiert weder den Begriff „Konzert“ noch den der „Konzerten vergleichbaren Darbietungen ausübender Künstler“.
  5. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind unter Konzerten i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG Aufführungen von Musikstücken zu verstehen, bei denen Instrumente und/oder die menschliche Stimme eingesetzt werden. Aufführende können einzelne oder mehrere Personen sein (BFH-Urteil vom 26.04.1995 – XI R 20/94, BFHE 177, 548, BStBl II 1995, 519, Rz 11). Hierzu gehören auch Pop- und Rockkonzerte, die den Besuchern die Möglichkeit bieten, zu der im Rahmen des Konzerts dargebotenen Musik zu tanzen (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.05.2003 – 6 K 1712/01, EFG 2003, 1275). Außerdem kann für „Mischformen“ von Theateraufführungen und Konzerten die Steuervergünstigung in Anspruch genommen werden, wenn eine Vorführung entweder als theaterähnlich oder als konzertähnlich einzustufen ist und eine persönlich geistige Schöpfung in der für einen Urheberrechtsschutz geforderten geistigen Höhe darstellt (Senatsurteil vom 09.10.2003 – V R 86/01, BFH/NV 2004, 984). Nach dem Senatsurteil in BFHE 211, 557, BStBl II 2006, 101 ist der Konzertbegriff im Hinblick auf die technischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Musik und dem unionsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz weit auszulegen. Für die Musikrichtungen „Techno“ und „House“ sind als „Instrument“ im Sinne der o.g. Begriffsbestimmung auch Plattenteller, Mischpulte und CD-Player u.Ä. anzusehen, mit denen die Musik im Rahmen eines Konzerts dargeboten wird, wenn sie (wie konventionelle Instrumente) zum Vortrag des Musikstücks –und nicht nur zum Abspielen eines Tonträgers– genutzt werden (Senatsurteil in BFHE 211, 557, BStBl II 2006, 101, Rz 18).
  6. b) Weitere Voraussetzung für die Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG ist, dass die begünstigte Veranstaltung oder Vorführung („Konzert“) den eigentlichen Zweck der Veranstaltung ausmacht (Senatsurteil in BFHE 211, 557, BStBl II 2006, 101, Rz 16 sowie BFH-Urteil in BFHE 177, 548, BStBl II 1995, 519). Daher müssen Leistungen anderer Art, die in Verbindung mit diesen Veranstaltungen erbracht werden, von so untergeordneter Bedeutung sein, dass dadurch der Charakter der Veranstaltung als Konzert nicht beeinträchtigt wird (Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 12 Rz 391; Bosche in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 144 Rz 144; Klezath in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Nr. 7 Rz 32).
  7. c) Für die Beurteilung, ob die hier streitige Vorführung den eigentlichen Zweck der Veranstaltung ausmacht, ist die Sicht des Durchschnittsverbrauchers im Rahmen einer Gesamtbetrachtung maßgeblich (EuGH-Urteile Město Žamberk, EU:C:2013:95, HFR 2013, 360, Rz 30 und 33, sowie Pro Med Logistik und Pongratz vom 27.02.2014 – C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111, HFR 2014, 470, Rz 57; Senatsurteil vom 22.11.2018 – V R 29/17, BFHE 263, 85, Rz 17).
  8. 3. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht entschieden, dass die musikalischen Darbietungen der DJs in den Klubnächten als Konzert (konzertähnliche Veranstaltung) i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG anzusehen sind und diese musikalischen Darbietungen der gesamten Veranstaltung auch ihr Gepräge geben.
  9. a) Bei den während der Klubnächte von den DJs aufgeführten Musikstücken handelt es sich um Konzerte bzw. konzertähnliche Veranstaltungen i.S. der unter II.2.a) dargelegten BFH-Rechtsprechung. Denn die jeweiligen DJs spielen ihre Musik zwar von Tonträgern ein, verändern diese jedoch mithilfe der Mischpulte und anderer technischer Hilfsmittel wie Computern, Filtern, Effektgeräten, Controllern und Synthesizern. Dabei werden neue Klangfolgen und Musikstücke geschaffen, die von der Klägerin –was unstrittig ist– als Eigenproduktion unter ihrem Plattenlabel veröffentlicht werden. Die DJs spielen somit nicht nur fremde Tonträger ab, sondern führen eigene neue Musikstücke auf, indem sie Instrumente im weiteren Sinne nutzen, um Klangfolgen mit eigener Prägung zu erzeugen.
  10. Entgegen der Ansicht des FA scheitert die Qualifizierung als Konzert nicht daran, dass es angesichts der Einlassregelung (Auswahl durch einen Türsteher) keinem Besucher möglich sei, die Veranstaltung gezielt zu der von ihm gewünschten Darbietung aufzusuchen. Denn der Inhalt einer musikalischen Darbietung (kreative Leistung) ist nicht davon abhängig, wer Zugang zu ihr erhält, solange überhaupt ein Publikum vorhanden ist, vor dem die Aufführung stattfindet. Wie das FG zu Recht entschieden hat, ist es letztlich Ausdruck der Vertragsfreiheit, ob der Zutritt über die Höhe des Preises, die Reihenfolge der Anmeldung oder –wie im Streitfall– über einen Türsteher geregelt wird.
  11. Der Konzertcharakter der musikalischen Darbietung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass eine Interaktion zwischen DJ und Publikum erfolgt und nicht der Künstler im Vordergrund steht, sondern das „feierwütige“ Publikum. Interaktionen zwischen DJ und Publikum –seien sie nun positiver (wie Klatschen/Jubeln) oder negativer Art (wie Ausbuhen/Auspfeifen)– sind auch traditionellen Konzerten nicht wesensfremd. Abgesehen davon ergibt sich aus der vom FG festgestellten tendenziellen Ausrichtung des Publikums auf den DJ sowie dem Leeren der Tanzfläche nach einem DJ-Set hinreichend deutlich, dass der DJ –wie bei Konzerten üblich– im Vordergrund der Darbietung steht.
  12. Soweit das FA vorbringt, das FG habe bei der Abgrenzung von Konzerten zu Partyveranstaltungen die öffentliche Darstellung der Veranstaltung nicht hinreichend einbezogen, ist dieses Vorbringen unschlüssig. Maßgebend für die Beurteilung als Konzert ist der objektive Charakter der Veranstaltung und nicht die Berichterstattung hierüber. Abgesehen davon räumt das FA selbst ein, in den einschlägigen Presseberichten komme (auch) zum Ausdruck, dass das „X“ im Hinblick auf elektronische Musik als erste Adresse in C gelte.
  13. Schließlich steht der Annahme einer Konzertveranstaltung nicht entgegen, dass ein Vorverkauf nicht stattfindet. Der Kartenvorverkauf ist lediglich eine Art des Kartenvertriebs, aber nicht für das Vorliegen eines Konzertes konstitutiv.
  14. b) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das FG die von ihm festgestellten Umstände dahingehend gewürdigt hat, dass die Auftritte der DJs den Klubnächten das Gepräge gäben, weil die musikalischen Darbietungen im Vordergrund stünden und die Begleitumstände (Tanzen, Feiern, Getränkeverkauf) dagegen zurückträten. Hierzu hat das FG die folgenden Umstände des Falles festgestellt: Die Musik sei sehr laut und wirke auch körperlich, sodass sich die Besucher ihr nicht entziehen könnten und gleichsam gezwungen würden, ihre Bewegungen nach der Musik auszurichten. Darüber hinaus reagierten Künstler und das Publikum unmittelbar aufeinander, indem bspw. bei besonders gelungenen Momenten sowie bei Beendigung eines DJ-Sets geklatscht oder gejubelt werde. Dem Publikum gehe es insbesondere darum, die Kreativität des jeweiligen DJs mitzuerleben, es richte sich tendenziell in Richtung DJ aus. Welcher DJ wann spiele, werde bereits Wochen im Voraus auf einer Homepage angekündigt und relativ nahe vor dem Auftritt ein genauer Zeitplan zur Verfügung gestellt. Dem stünde die ständige Fluktuation der Gäste nicht entgegen; auch bei Musikfestivals sei es üblich, dass die Besucher nicht der gesamten Darbietung beiwohnten, sondern sich zwischendurch zurückziehen, um sich zu unterhalten, zu entspannen oder das Festivalgelände zu verlassen. Die Fluktuation ergebe sich daraus, dass Personen, die verschiedene DJs gut fänden, vom Hauptraum in den anderen Veranstaltungsbereich wechselten und umgekehrt. Auf das Verhältnis zwischen den Umsätzen aus Eintrittsberechtigung und Gastronomie komme es nicht an. Die erheblichen, an die Künstler gezahlten Honorare sprächen vielmehr gegen die Bewertung der Klubnächte als reine Partyveranstaltungen.
  15. Diese Würdigung des FG beruht auf der Perspektive eines Durchschnittsverbrauchers („Durchschnittsbesuchers“) und ist aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, die nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind, möglich. Sie verstößt insbesondere nicht gegen Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze und bindet daher den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO.
  16. c) Die im Wesentlichen gegen diese Würdigung des FG gerichteten Angriffe des FA führen nicht zum Erfolg. Das FA berücksichtigt bei seinem Vorbringen nicht, dass die tatrichterliche Überzeugungsbildung nur eingeschränkt überprüfbar ist und nicht durch eine eigene, von der Beurteilung des Gerichts abweichende Beweiswürdigung des Rechtsmittelführers ersetzt werden kann. Es ist vielmehr allein Aufgabe des FG, die im Einzelfall entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnisse festzustellen und zu gewichten. Dabei unterliegt es keinen starren Regeln. Die von ihm aus den festgestellten Tatsachen gezogenen Schlüsse müssen daher nicht zwingend, sondern nur möglich sein. Allerdings darf das Gericht bei der Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung nicht nach sachfremden Erwägungen oder gar willkürlich verfahren und muss die gebildete subjektive Überzeugung in seinem Urteil objektivieren. Seine Überzeugungsbildung muss verstandesmäßig einsichtig und logisch nachvollziehbar sein. Sie darf keine inneren Widersprüche aufweisen, lückenhaft oder unklar sein oder gegen die Denkgesetze oder Erfahrungswissen verstoßen (BFH-Urteile vom 19.08.2015 – X R 30/12, BFH/NV 2016, 203, sowie vom 12.12.2013 – X R 33/11, BFH/NV 2014, 693, Rz 30). Sachfremde Erwägungen oder eine willkürliche bzw. widersprüchliche Verfahrensweise bei der Beweiswürdigung hat das FA weder dargelegt, noch sind entsprechende Anhaltspunkte für den Senat ersichtlich.
  17. aa) Mit seinem Vorbringen, das FG habe dem Verhältnis der Eintrittserlöse zu den Gastronomieumsätzen keine (entscheidende) Bedeutung beigemessen, obwohl aus den geringen Eintrittspreisen folge, dass die künstlerischen Darbietungen die Veranstaltung nicht prägen könnten, macht das FA ohne Erfolg geltend, das FG habe den Sachverhalt nicht umfassend gewürdigt. Denn ausweislich der Urteilsbegründung auf S. 13 hat das FG diesen Gesichtspunkt bei seiner Würdigung durchaus berücksichtigt, ihm aber im Hinblick auf die hohen Künstlergagen keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Dies ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn der Getränkeumsatz besagt im Regelfall nichts darüber, ob es sich bei der Veranstaltung dem Charakter nach um ein Tanzvergnügen oder ein Konzert handelt. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Konsum von Alkohol in besonders großem Umfang in den Vordergrund tritt, sodass die Veranstaltung zu einem „Trinkgelage“ ausartet (vgl. Urteil des FG Rheinland-Pfalz in EFG 2003, 1275). Bei Umsätzen aus Eintrittsgeldern von ca. 1,6 Mio. € und Gastronomieumsätzen von ca. 2,7 Mio. € tritt der Getränkekonsum jedenfalls dann nicht besonders in den Vordergrund, wenn die geringeren Umsätze aus den Eintrittsgeldern auch darauf beruhen, dass die Eintrittspreise sehr moderat (10 € bis 14 €) kalkuliert wurden.
  18. bb) Mit der Rüge, das FG habe es unterlassen, die Intention der Veranstalterin (Unterscheidung zwischen „dancefloor“ und „stage“) in seine Würdigung einzubeziehen, macht das FA weder eine willkürliche noch sachfremde Beweiswürdigung geltend. Das FG hat den entsprechenden Vortrag des FA im Tatbestand seines Urteils (S. 5) berücksichtigt, ihn aber nicht für entscheidungserheblich gehalten. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, da der Schwerpunkt einer Veranstaltung aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers zu bestimmen ist und nicht nach der –möglicherweise werbepolitisch motivierten– Absicht des Veranstalters.
  19. cc) Das FA sieht unter Hinweis auf das nicht veröffentlichte Urteil des Sächsischen FG vom 13.04.2011 – 4 K 2038/09 in der Regelmäßigkeit der Veranstaltung ein vom FG nicht berücksichtigtes Indiz dafür, dass der Party- oder Tanzcharakter überwiege, während sporadische Auftritte dafür sprächen, dass der Auftritt des Künstlers im Vordergrund stehe. Auch diesen Vortrag hat das FG zwar im Sachverhalt der Entscheidung erwähnt, ihn aber bei der Gesamtwürdigung nicht berücksichtigt und damit konkludent zum Ausdruck gebracht, dass es ihn nicht für entscheidungserheblich hält. Abgesehen davon, dass das FA insoweit lediglich eine abweichende Würdigung des Sachverhalts geltend macht, ist die Regelmäßigkeit der Veranstaltung aus der maßgeblichen Perspektive des Durchschnittsverbrauchers (Durchschnittsbesuchers) grundsätzlich kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Tritt ein renommierter Künstler (hier: DJ) mit seinem Repertoire auf, verliert die Veranstaltung für den Durchschnittsbesucher nicht dadurch ihr vorführungsbezogenes Gepräge, dass er dies mehrfach (hier: wöchentlich) oder in regelmäßigen Abständen tut.
  20. dd) Bei seinem Vorbringen, die DJs und damit auch ihre musikalischen Vorstellungen blieben im Hintergrund, weil die DJs aufgrund der Lichtverhältnisse nicht identifizierbar seien und nicht vor dem Set vorgestellt oder angekündigt würden, berücksichtigt das FA nicht die bindenden Feststellungen des FG im Tatbestand des Urteils. Danach können die Gäste von nahezu jedem Platz aus die auftretenden DJs sehen, sie wegen der Lautstärke der abgespielten Musik in jedem Fall aber hören. Diese Feststellungen hat das FA nicht mit einem Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§§ 108, 109 FGO) angegriffen, sodass der Senat von diesen Feststellungen auszugehen hat. Die fehlende Ankündigung und Vorstellung des jeweiligen DJs konnte das FG ohne sachfremde Erwägungen bereits deswegen für nicht entscheidungserheblich halten, weil es festgestellt hat, dass die Klägerin im Vorhinein auf ihrer Homepage sowie auf Flyern angekündigt hat, wann welche DJs („running order“) auftreten.
  21. ee) Auch die Rüge des FA, wonach sich das FG zur Feststellung dessen, was die Besucher des „X“ als maßgebliche Leistung auffassen, auf die mündliche Einschätzung des Zeugen bezogen habe, ohne diesen auf seine dem widersprechenden schriftlichen Äußerungen vernommen zu haben, ist unbegründet. Denn ausweislich des Sitzungsprotokolls hatte bereits das FA den Zeugen zu seinen widersprüchlichen Einschätzungen befragt, woraufhin dieser klarstellte, dass er seine Publikation nicht so verstanden wissen wolle, dass es sich um keine konzertanten Veranstaltungen handele. Auf dieser Grundlage konnte das FG in den Urteilsgründen (S. 12) klarstellen, dass einzelne Passagen aus dessen Buch „…“ nicht im Widerspruch zur Aussage des Zeugen stünden.
  22. ff) Schließlich macht das FA ohne Erfolg geltend, das FG habe den Sachverhalt im Widerspruch zu den Abgrenzungsgrundsätzen seiner früheren Entscheidung in EFG 2013, 91 gewürdigt. Darin habe derselbe Senat es als entscheidend angesehen, dass bei der ständigen Fluktuation der Gäste die Musik nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehe, wegen des dauernden Kommens und Gehens „neuer“ und „alter“ Gäste gar nicht stehen könne. Dies drücke sich auch darin aus, dass eine Ankündigung der DJs vor Ort nicht stattfinde, sodass kein Gast den Klub gezielt zu der Darbietung eines bestimmten DJs aufsuchen könne. Auch sei es nicht möglich, Karten vorab zu erwerben, sodass es dem Zufall überlassen bleibe, ob ein Gast tatsächlich Zutritt zu der von ihm gewünschten Veranstaltung erhalte.
  23. Auch wenn dem FA darin zuzustimmen ist, dass das FG in der angegriffenen Entscheidung die Fluktuation der Gäste sowie die Einlassregelung als unschädlich beurteilt hat, liegt keine widersprüchliche oder willkürliche Beweiswürdigung vor. Denn die beiden Urteile beruhen –wie das FG auf S. 13 seines Urteils ausgeführt hat– auf unterschiedlichen Sachverhalten: Anders als im Streitfall hatte der Veranstalter in dem Urteil in EFG 2013, 91 die Reihenfolge der auftretenden Künstler im Vorfeld nicht bekannt gemacht, sodass nur versierte Gäste heraushören konnten, welcher Künstler gerade am Mischpult saß. Zudem lagen dem FG in der Vorentscheidung keine Anhaltspunkte für eine konzerttypische Interaktion zwischen Künstler und Publikum vor.
  24. 4. Entgegen der Ansicht des FA widerspricht die Gewährung des ermäßigten Steuersatzes für die streitgegenständliche Veranstaltung der Klubnächte auch nicht dem Sinn und Zweck der Steuerbegünstigung.
  25. a) Der Zweck der Steuersatzermäßigung des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG besteht insbesondere darin, zugunsten der Besucher von kulturellen Veranstaltungen eine Preiserhöhung zu vermeiden (Senatsurteil vom 18.01.1995 – V R 60/93 , BFHE 176, 500, BStBl II 1995, 348, unter Hinweis auf die Drucksache des Deutschen Bundestages vom 30.03.1967 – V/1581, S. 3; BFH-Urteil in BFHE 177, 548, BStBl II 1995, 519, Rz 10).
  26. b) Dieser Zweck wird im Streitfall bereits dadurch erreicht, dass die Klägerin für den Zutritt vergleichsweise geringe Eintrittspreise verlangt. Der für die Klubnächte im Streitjahr zu zahlende Eintrittspreis betrug 10 € bis 14 € und steht damit nach dem Vortrag des FA in keinem Verhältnis zu den hohen, mitunter vierstelligen Gagen der DJs. Wenn die Klägerin trotz moderater Eintrittspreise erhebliche Gewinne erwirtschafte, liege das neben dem Getränkeumsatz an der ständigen Fluktuation (laufendes Kommen und Gehen „neuer“ und „alter“ Gäste) und dem Umstand, dass mehr Besucher eingelassen würden als auf den Tanzflächen an den Darbietungen teilnehmen könnten. Damit ist aber auch gewährleistet, dass möglichst viele Personen Zutritt zu der Veranstaltung erhalten.
  27. c) Ohne Erfolg macht das FA daher geltend, wegen der subjektiven Auswahl durch den Türsteher sei es ausgeschlossen, dass der „Allgemeinheit“ Zugang zu den Veranstaltungen gewährt werde. Im Hinblick auf den Nachfrageüberhang und die räumliche Begrenzung des Klubs ist es ausgeschlossen, dass „Jedermann“ zu jeder Veranstaltung auch Zutritt erlangt. Der Senat kann dabei offenlassen, ob eine Einschränkung der Steuerbegünstigung für Konzerte gerechtfertigt wäre, wenn bestimmten Personen wegen den in Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 des Grundgesetzes genannten Gründen der Eintritt von vornherein verweigert würde. Denn eine derartige Diskriminierung ist weder vom FA vorgebracht noch aus den Akten ersichtlich.
  28. 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Diese Zusammenfassung wurde erstellt vom Clubcommission Berlin e.V. am 18.11.2020

DOWNLOAD PDF